Im März 2014 gab das Pew Research Center bekannt, dass über ein Viertel der Amerikaner ein Selfie online geteilt hat. Es ist nicht überraschend, dass Millennials, die zum Zeitpunkt der Umfrage zwischen 18 und 33 Jahre alt waren, am häufigsten üblich sind, sich selbst zu fotografieren und dieses Bild über soziale Medien zu teilen: Mehr als jeder Zweite hat ein Selfie geteilt. So hat fast ein Viertel derjenigen, die als Generation X eingestuft sind (lose definiert als die zwischen 1960 und den frühen 1980er Jahren geborenen). Das Selfie ist zum Mainstream geworden.
Beweise für seinen Mainstream-Charakter finden sich auch in anderen Aspekten unserer Kultur. 2013 wurde "selfie" nicht nur zum Oxford English Dictionary hinzugefügt, sondern auch zum Wort des Jahres ernannt. Seit Ende Januar 2014 wurde das Musikvideo zu "#Selfie" von The Chainsmokers über 250 Millionen Mal auf YouTube angesehen. Eine kürzlich abgesagte Fernsehsendung mit dem Titel "Selfie", die auf der Suche nach Ruhm und Image war, debütierte im Herbst 2014. Und die regierende Königin des Selfies, Kim Kardashian West, debütierte 2015 mit einer Sammlung von Selfies in Buchform, Egoistisch.
Doch trotz der Allgegenwart der Praxis und wie viele von uns tun es (1 von 4 Amerikanern!), Umgibt es einen Vorwand des Tabus und der Verachtung. Eine Annahme, dass das Teilen von Selfies peinlich ist oder sein sollte, zieht sich durch die journalistische und wissenschaftliche Berichterstattung zum Thema. Viele berichten über die Praxis, indem sie den Prozentsatz derer angeben, die "zugeben", sie zu teilen. Deskriptoren wie "eitel" und "narzisstisch" werden unweigerlich Teil jeder Konversation über Selfies. Qualifier wie "special occasion", "beautiful location" und "ironic" werden verwendet, um sie zu rechtfertigen.
Aber über ein Viertel aller Amerikaner tun es und mehr als die Hälfte von denen im Alter zwischen 18 und 33 tun es. Warum?
Die häufig angeführten Gründe - Eitelkeit, Narzissmus, Ruhmesucht - sind so oberflächlich wie diejenigen, die die Praxis kritisieren. Aus soziologischer Sicht gibt es für eine Mainstream-Kulturpraxis immer mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Lassen Sie uns damit tiefer in die Frage eintauchen, warum wir Selfies machen.
Einfach ausgedrückt, physische und digitale Technologie machen es möglich, also machen wir es. Die Idee, dass Technologie die soziale Welt und unser Leben strukturiert, ist ein soziologisches Argument, das so alt wie Marx ist und das oft von Theoretikern und Forschern wiederholt wird, die die Entwicklung der Kommunikationstechnologien im Laufe der Zeit verfolgt haben. Das Selfie ist keine neue Ausdrucksform. Künstler haben seit Jahrtausenden Selbstporträts geschaffen, von Höhlenmalereien über klassische Gemälde bis hin zu frühen Fotografien und moderner Kunst. Das Neue am heutigen Selfie ist seine Alltäglichkeit und seine Allgegenwart. Technologischer Fortschritt befreite das Selbstporträt von der Kunstwelt und gab es den Massen.
Einige würden sagen, dass die physischen und digitalen Technologien, die das Selfie ermöglichen, auf uns als eine Form von "technologischer Rationalität" einwirken, ein Begriff, den der kritische Theoretiker Herbert Marcuse in seinem Buch geprägt hat Eindimensionaler Mann. Sie üben eine eigene Rationalität aus, die unser Leben prägt. Digitale Fotografie, Frontkameras, Social-Media-Plattformen und drahtlose Kommunikation bringen eine Vielzahl von Erwartungen und Normen mit sich, die heute unsere Kultur prägen. Wir können und tun es auch. Aber wir tun es auch, weil sowohl die Technologie als auch unsere Kultur dies von uns erwarten.
Wir sind keine isolierten Wesen, die streng individuell leben. Wir sind soziale Wesen, die in Gesellschaften leben, und unser Leben wird als solches grundlegend durch soziale Beziehungen zu anderen Menschen, Institutionen und sozialen Strukturen geprägt. Selfies sind keine individuellen Handlungen, sondern Fotos, die geteilt werden sollen. Sie sind soziale Akte. Selfies und unsere Präsenz in den sozialen Medien im Allgemeinen sind Teil dessen, was die Soziologen David Snow und Leon Anderson als "Identitätsarbeit" bezeichnen - die Arbeit, die wir täglich tun, um sicherzustellen, dass wir von anderen so gesehen werden, wie wir es möchten gesehen werden. Weit davon entfernt, ein rein angeborener oder innerer Prozess zu sein, wird das Herstellen und Ausdrücken von Identität von Soziologen seit langem als sozialer Prozess verstanden. Die Selfies, die wir aufnehmen und teilen, dienen dazu, ein bestimmtes Bild von uns zu präsentieren und damit den Eindruck zu formen, den andere von uns haben.
Der berühmte Soziologe Erving Goffman beschrieb den Prozess des "Impression Management" in seinem Buch Die Darstellung des Selbst im Alltag. Dieser Begriff bezieht sich auf die Idee, dass wir eine Vorstellung davon haben, was andere von uns erwarten oder was andere für einen guten Eindruck von uns halten, und dass dies die Art und Weise beeinflusst, wie wir uns präsentieren. Der frühe amerikanische Soziologe Charles Horton Cooley beschrieb den Prozess der Herstellung eines Selbst basierend auf dem, was wir uns vorstellen, dass andere uns als "Spiegelselbst" betrachten, wobei die Gesellschaft als eine Art Spiegel fungiert, an den wir uns halten.
Im digitalen Zeitalter wird unser Leben zunehmend auf soziale Medien projiziert, von diesen umrahmt, gefiltert und gelebt. Es macht also Sinn, dass Identitätsarbeit in dieser Sphäre stattfindet. Wir beschäftigen uns mit Identitätsarbeit, wenn wir durch unsere Nachbarschaften, Schulen und Arbeitsstätten gehen. Wir machen es so, wie wir uns kleiden und stylen. wie wir gehen, reden und unseren Körper tragen. Wir machen das telefonisch und schriftlich. Und jetzt machen wir es per E-Mail, per SMS, auf Facebook, Twitter, Instagram, Tumblr und LinkedIn. Ein Selbstporträt ist die offensichtlichste visuelle Form der Identitätsarbeit, und seine sozial vermittelte Form, das Selfie, ist jetzt eine übliche, vielleicht sogar notwendige Form dieser Arbeit.
In seinem Buch, Das egoistische Gen.,Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins legte eine Definition des Memes vor, die für die Kultur-, Medien- und Soziologieforschung von großer Bedeutung war. Dawkins beschrieb das Mem als ein kulturelles Objekt oder eine Entität, die zu einer eigenen Replikation anregt. Es kann musikalische Formen annehmen, in Tanzstilen gesehen werden und sich unter anderem als Modetrends und Kunst manifestieren. Heutzutage gibt es im Internet eine Fülle von Memes, die oft humorvoll sind, aber als Kommunikationsform immer präsenter und damit wichtiger werden. In den Bildformen, die unsere Facebook- und Twitter-Feeds füllen, bieten Memes einen starken kommunikativen Schlag mit einer Kombination aus sich wiederholenden Bildern und Phrasen. Sie sind dicht mit symbolischer Bedeutung beladen. Als solche zwingen sie ihre Replikation; denn wenn sie bedeutungslos wären, wenn sie keine kulturelle Währung hätten, würden sie niemals ein Mem werden.
In diesem Sinne ist das Selfie ein Mem. Es ist zu einer normativen Sache geworden, dass wir eine strukturierte und sich wiederholende Art der Selbstdarstellung entwickeln. Der genaue Darstellungsstil kann variieren (sexy, schmollend, ernst, albern, ironisch, betrunken, "episch" usw.), aber die Form und der allgemeine Inhalt - ein Bild einer Person oder einer Gruppe von Personen, die den Rahmen ausfüllen, auf Armeslänge genommen - gleich bleiben. Die kulturellen Konstrukte, die wir gemeinsam geschaffen haben, prägen, wie wir unser Leben leben, wie wir uns ausdrücken und wer wir für andere sind. Das Selfie ist als Mem ein kulturelles Konstrukt und eine Form der Kommunikation, die jetzt tief in unser tägliches Leben eingedrungen ist und voller Bedeutung und sozialer Bedeutung steckt.