Nach 60 Jahren des Verborgenwerdens vor der Öffentlichkeit werden die Aufzeichnungen der Nationalsozialisten über 17,5 Millionen Menschen - Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Geisteskranke, Behinderte, politische Gefangene und andere unerwünschte Personen -, die während der 12-jährigen Regierungszeit des Regimes verfolgt wurden, für die Öffentlichkeit zugänglich sein Öffentlichkeit.
Das ITS-Holocaust-Archiv in Bad Arolsen enthält die umfangreichsten Aufzeichnungen über Verfolgungen durch die Nazis. Das Archiv umfasst 50 Millionen Seiten und ist in Tausenden von Aktenschränken in sechs Gebäuden untergebracht. Insgesamt gibt es 16 Meilen Regale mit Informationen über die Opfer der Nazis.
Die Dokumente - Papierfetzen, Transportlisten, Meldebücher, Arbeitsdokumente, Krankenakten und schließlich Sterberegister - dokumentieren die Verhaftung, den Transport und die Vernichtung der Opfer. In einigen Fällen wurden sogar die Anzahl und die Größe der auf den Köpfen der Gefangenen gefundenen Läuse aufgezeichnet.
Dieses Archiv enthält die berühmte Schindler-Liste mit den Namen von 1.000 Häftlingen, die vom Fabrikbesitzer Oskar Schindler gerettet wurden, der den Nazis mitteilte, er brauche die Häftlinge, um in seiner Fabrik zu arbeiten.
Unter den Millionen von Dokumenten in diesem Archiv finden sich auch Aufzeichnungen über Anne Franks Reise von Amsterdam nach Bergen-Belsen, wo sie im Alter von 15 Jahren starb.
Das Totenbuch des Konzentrationslagers Mauthausen dokumentiert in akribischer Handschrift, wie am 20. April 1942 alle zwei Minuten 90 Stunden lang ein Gefangener in den Hinterkopf geschossen wurde. Der Mauthausener Lagerkommandant befahl diese Hinrichtungen als Geburtstagsgeschenk für Hitler.
Gegen Ende des Krieges, als die Deutschen zu kämpfen hatten, konnte die Aufzeichnungenführung mit der Ausrottung nicht mithalten. Und eine unbekannte Anzahl von Gefangenen wurde direkt von Zügen zu Gaskammern in Orten wie Auschwitz gebracht, ohne registriert zu sein.
Als die Alliierten ab Frühjahr 1945 Deutschland eroberten und in die nationalsozialistischen Konzentrationslager eintraten, fanden sie detaillierte Aufzeichnungen, die von den Nationalsozialisten geführt worden waren. Die Dokumente wurden in die deutsche Stadt Bad Arolsen gebracht, wo sie sortiert, archiviert und verschlossen wurden. 1955 wurde der Internationale Suchdienst (ITS), ein Zweig des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, mit der Verwaltung der Archive beauftragt.
In einer 1955 unterzeichneten Vereinbarung war festgelegt, dass keine Daten veröffentlicht werden sollten, die den ehemaligen NS-Opfern oder ihren Familien schaden könnten. Daher hielt der ITS die Akten wegen Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre der Opfer für die Öffentlichkeit geschlossen. Informationen wurden in minimalen Mengen an Überlebende oder deren Nachkommen verteilt.
Diese Politik stieß bei Überlebenden und Forschern des Holocaust auf großes Unbehagen. Auf Druck dieser Gruppen erklärte sich die IVS-Kommission für die Öffnung der Aufzeichnungen im Jahr 1998 und begann 1999, die Dokumente in digitaler Form zu scannen.
Deutschland lehnte jedoch eine Änderung des ursprünglichen Übereinkommens ab, um der Öffentlichkeit den Zugang zu den Aufzeichnungen zu ermöglichen. Die deutsche Opposition, die auf einem möglichen Missbrauch von Informationen beruhte, wurde zum Haupthindernis für die Öffnung der Holocaust-Archive für die Öffentlichkeit.
Bislang lehnte Deutschland die Eröffnung jedoch mit der Begründung ab, dass in den Aufzeichnungen private Informationen über Personen enthalten seien, die missbraucht werden könnten.
Nach jahrelangem Druck der USA und der Überlebendengruppen änderte Deutschland im Mai 2006 seinen Standpunkt und stimmte einer raschen Überarbeitung des ursprünglichen Abkommens zu.
Brigitte Zypries, die damalige deutsche Justizministerin, kündigte diese Entscheidung während eines Treffens in Washington mit Sara J. Bloomfield, der Direktorin des Holocaust Memorial Museum der Vereinigten Staaten, an.
Sagte Zypries,
"Unser Standpunkt ist, dass der Schutz der Privatsphäre inzwischen einen Standard erreicht hat, der hoch genug ist, um ... den Schutz der Privatsphäre der Betroffenen zu gewährleisten."
Die Unmenge an Informationen in den Archiven wird Holocaustforschern Arbeit für Generationen ermöglichen. Holocaust-Gelehrte haben bereits begonnen, ihre Schätzungen zur Anzahl der von den Nationalsozialisten betriebenen Lager nach neuen Erkenntnissen zu revidieren. Und die Archive stellen ein gewaltiges Hindernis für Holocaustleugner dar.
Da die jüngsten Überlebenden jedes Jahr sehr schnell sterben, haben die Überlebenden kaum Zeit, mehr über ihre Lieben zu erfahren. Heute befürchten Überlebende, dass sich nach ihrem Tod niemand mehr an die Namen ihrer Familienmitglieder erinnern wird, die im Holocaust getötet wurden. Die Archive müssen zugänglich sein, solange es noch Überlebende gibt, die über das Wissen und den Antrieb verfügen, darauf zuzugreifen.
Durch die Öffnung der Archive können Überlebende und ihre Nachkommen endlich Informationen über die Angehörigen finden, die sie verloren haben, und dies kann ihnen vor dem Ende ihres Lebens einen wohlverdienten Abschluss bringen.